Handlung

  • Kessler, Ulrike

     

    Ulrike Kessler In Challamging Times

    In Challenging Times

    2020, Acrylic on Canvas, 150 x 100 cm

    Diese Arbeit ist im März 2020 entstanden, als die Tragweite der Corona-Pandemie allmählich sichtbar wurde. Das Motiv ist ein Traumbild, und die Arbeit daran hat mir bewusst gemacht, wie existenziell verwundbar wir sind - und welche Chance diese Krise eben auch darstellt.

    This work dates from March 2020, when the magnitude of the corona pandemic gradually became apparent. The motif is a dream image, and working on it made me aware of how vulnerable we are - and what an opportunity this crisis also represents.

     

    Künstlerbuch „A Short Story“

     

    Die zwanzig Blätter dieses Künstlerbuchs sind im Sommer 2019 in Venedig entstanden.

    In Form einer kleinen Bildergeschichte beschreiben sie eine Situation, in der ich vor einigen Jahren zutiefst gedemütigt und „freigestellt“ (also gekündigt) wurde. Ich war damals der Situation ohne Handlungsmöglichkeit ausgesetzt. Nun konnte ich sie (be-)zeichnen, übermalen, überkleben... Es war wie ein kleines Ritual: der Dämon wurde auf Papier zur Strecke gebracht und später zum Buch gebunden.

    The twenty sheets of this artist book were created in Venice during summer 2019.

    In the form of a small picture story, they describe a situation in which I was deeply humiliated and "released" (i.e. dismissed) a few years ago. At that time, I had been exposed to the situation without any possibility of action. Now I was able to draw, paint over, paste over...It was like a small ritual: the demon was hunted down on paper and later bound into a book.

     

    Künstlerin: Ulrike Kessler,
    KunstDisziplin: Malerei, Zeichnung, Experimentelles
    Nationalität: Deutsch, lebt in der Nähe von Basel, Schweiz
    Sommerakademie Venedig Meisterklasse Painting I, 2019 (und einige davor)
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    www.ulrikekessler.ch

     

     

  • Walter, Harry

    Stereoskopische Hände

    Stereoskopische Hande Harry Walter

    Bilder lassen vom Raum in der Regel nur
    zwei Dimensionen übrig. Um die dritte
    Dimension dennoch erfahrbar zu machen,
    musste man sich etwas einfallen lassen.
    Ein Stereoskop ist ein Gerät, durch das
    sich zwei Bilder, die aus zwei dem Augenabstand
    entsprechenden Winkeln aufgenommen
    wurden, zu einem einzigen, als
    räumlich empfundenen Bild vereinen lassen.

    Die Idee ist so einfach und der Effekt
    so verblüffend, dass man sich fragt, warum
    sich die Fotografie nicht gänzlich dieser
    Richtung verschrieben hat, wiewohl
    andererseits klar ist, dass Fotos nicht dazu
    da sind, Illusionen hervorzubringen, sondern
    die Wirklichkeit abzubilden.

    Was hier wie eine Geisterbeschwörung
    aussieht, erklärt sich zunächst einmal als
    der Versuch, die Illusion eines dreidimensionalen
    Raums bis zum Maximum auszuschöpfen.
    Betrachtet man die Szene
    durch ein Stereoskop, scheint die rechte
    Hand der jungen Frau auf verblüffende
    Weise aus dem Bildraum heraus in Richtung
    Betrachter zu greifen. Während die
    linke Hand an der Grenze zum eigentlichen
    Bildraum zu verharren scheint, hat
    sich die rechte weit ins Bildjenseits vorgewagt
    und den normalerweise toten Raum
    zwischen dem Bild und seinen Betrachtern
    durch Handstreich in Besitz genommen.

    Dieses ins Spiritistische hinüberreichende
    Spiel mit der Fernwirkungskraft
    von Händen hat hier zu einer ironischen
    Formulierung gefunden. Was das vermutlich
    um 1900 aufgenommene Bilderpaar
    vom Genre der okkultistischen Geisterfotografien
    unterscheidet, ist die Tatsache,
    dass die Hände direkt auf uns gerichtet
    sind und uns damit nicht nur zu Betrachtern,
    sondern selbst zu Manipulierten machen.

    Kopf und Hände der jungen Frau wirken
    echt und künstlich zugleich, als handle
    es sich um ein Objekt aus einem Wachsfi-
    gurenkabinett, wo Berühmtheiten aller
    Art so naturgetreu wie möglich in einer
    für sie charakteristischen Pose verewigt
    sind und bei ihren Betrachtern das Gefühl
    einer leibhaftigen Begegnung mit der
    Weltgeschichte hervorkitzeln sollen.

    Der Grund für diese wächserne Starre
    ist zu einem gewissen Teil technisch
    bedingt: In jener Zeit, der das Fotopaar
    entstammt, waren für eine scharfe und
    ausreichend belichtete Aufnahme relativ
    lange Belichtungszeiten vonnöten, so
    dass die Körper, insbesondere die Köpfe,
    mittels Stützapparaturen in eine künstliche
    Starre versetzt werden mussten. Das
    Sich-Einfrieren-Müssen während des Aufnahmezeitraums
    führte zu einer Überstilisierung
    der Physiognomie, zu einer neuartigen
    Form der Gesichtstheatralik, zu
    Köpfen, die uns heute oft wie Karikaturen
    auf den Begriff Charakter anmuten.

    Durch die Stereoskopie ist dieser Erstarrungseffekt
    natürlich noch verstärkt
    worden. So wie sich bei einer Glasvitrine
    das Berührverbot letztendlich als
    Sehzwang manifestiert, so wird man
    auch hier dazu verleitet, das zum Greifen
    Nahe tiefer in den Blick zu nehmen,
    als es der Anstand gebieten würde. Längeres
    Hinein schauen in einen stereoskopisch
    illusionierten Raum kann zu einem
    Tunnelblick führen oder gar zu einer hypnotischen
    Blickstarre, die in dem hier gebotenen
    Fall allerdings vom Bild selbst
    auszugehen scheint.

    Zwischen den beiden Armen ist auf
    Brusthöhe etwas Fellartiges zu erkennen,
    das zu einem Hund gehören könnte,
    der sich auf dem Schoß der Frau niedergelassen
    hat und nun als Unterlage für
    den linken Unterarm dient. Der rechte
    wird hingegen von einem damals in Fotostudios
    gebräuchlichen Fixierstab gehalten
    – das auf dem Stativ sitzende Gelenk
    samt Flügelschraube ist deutlich erkennbar.
    Möglicherweise war der Fotograf so
    sehr auf eine stabile Positionierung der
    Arme konzentriert, dass er diese kleine
    Unsauberkeit im Bildaufbau gar nicht bemerkte.

    Denn jedes Zittern der Hände hätte
    sich auf dem Foto als Unschärfe manifestiert
    und die Illusion eines in der Zeit eingefrorenen
    Raumbilds zerstört, weshalb
    es wiederum unwahrscheinlich ist, dass
    sich ein lebendiger Hund in diese Szene
    verirrt haben könnte, zumal dessen Größe
    weit über die eines Schoßhündchens
    hinausgereicht hätte. Vielleicht diente ein
    über die Stuhllehne gehängtes Fell hier lediglich
    dazu, der kranzartig gewickelten
    Frisur und der weißen Halsschleife etwas
    eindeutig Wildes entgegenzusetzen. Was
    da als Armstütze dient, könnte aber auch
    der Rücken eines ausgestopften Tiers
    sein, nicht notwendig eines Hundes, sondern
    vielleicht eines Löwen, dessen plattgedrückte
    Mähne das Resultat unzähliger
    Streicheleinheiten wäre. Das oben rechts
    im Bild zu sehende schwarze Flächenstück
    deutet auf eine abgeschrägte Studiokulisse
    hin, falls es sich nicht um einen
    ins Bild hineinragenden Vorhang handelt.

    Betrachtet man die beiden auf eine Pappe
    geklebten Aufnahmen ohne passendes
    Betrachtergerät, wirken sie in ihrem funktionslosen
    Nebeneinander wie eine Aufforderung
    zum Dauervergleich. Und lässt
    man die Augen zwischen den beiden Fotos

    hin und her pendeln, gerät die rechte
    Hand der Frau auffällig ins Springen,
    da sie der Kameralinse am nächsten war
    und deshalb relativ zum Hintergrund den
    größten Versatz aufweist. Der Kopf auf
    dem linken Foto ist von der vorgestreckten
    Hand teilweise verdeckt, wohingegen
    auf dem rechten Foto zwischen Kopf und
    Hand ein Tapetenstück sichtbar wird, das
    zu der Wand im Hintergrund gehört.

    Die leicht unterschiedliche Perspektive
    auf dasselbe Motiv bewirkt eine unterschiedliche
    Nuancierung der gestischmimischen
    Botschaft: Während das linke
    Foto aufgrund des leicht aus der Bildmitte
    versetzten Kopfes insgesamt etwas dynamischer
    und handlungsbetonter wirkt,
    ist auf dem rechten Foto der Kopf so vollkommen
    ins Zentrum geraten, dass er ein
    Höchstmaß an Souveränität oder Gelassenheit
    ausstrahlt.

    Schon eine minimale Verschiebung des
    Blickwinkels kann den Ausdruckswert
    einer Szene offenbar in eine ganz andere
    Richtung lenken. Obwohl es sich um
    ein und denselben Moment handelt, der
    hier festgehalten wurde, entsteht der Eindruck
    eines filmischen Nacheinanders, in
    dem die Frau von einer eher abwehrenden
    zu einer eher beschwörenden Haltung findet
    und so die Magie der Hände eine gewisse
    Abrundung oder Entfaltung erfährt.

    Beim Zusammenkommen der beiden
    Aufnahmen im Stereoskop überlagern sich
    die beiden differenten Aspekte auf komplexe
    Weise, und es entsteht neben dem
    Raumeindruck so etwas wie das Stereogramm
    eines von zwei auseinanderlaufenden
    Gefühlen zusammengehaltenen
    Augenblicks.

     

    Dozent der Meisterklasse Creative Writing, 2019/2021

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